13.09.2022
Von Eugen Kienzler
Eine Spende für ein Mahnmal: (von links) Steinmetz Claus Schuhmacher, Adam Werner, Mary Gelder, Arnold Gorski und Dr. Fritz Weiß.
(Foto: Kienzler)
„Fern der Heimat starben im Lager Siessen zwischen 1940 und 1945 169 Flüchtlinge, Franzosen, Rumänen, Russen und Slowenen“. So lautet die Widmung auf der Gedenkstele mit dem Symbol der „Schmerzensmutter Maria“, die auf dem Sießener Friedhof hinter der Wendelinuskapelle steht.
Die vom bekannten Saulgauer Bildhauer Alfons Scheck in den 1950er-Jahren aus Krenzheimer Muschelkalk geschaffene Stele trägt auf zwei Seiten Namen der Verstorbenen. Mit der Zeit vermoste und verwitterte der Stein, die Namen waren nicht mehr lesbar. Steinmetz und Steinbildhauer Claus Schuhmacher übernahm den Auftrag der Stadt Bad Saulgau, die Stele zu sanieren.
„Es war eine Sisyphusarbeit und manchmal ein Ratespiel, die Namen zu entziffern und wieder lesbar zu machen“, so Schuhmacher. Das Ergebnis seiner Arbeit an der 1,8 Tonnen schweren Stele lässt sich sehen. Mit einem Beitrag zur Sanierung des steinernen Zeitzeugens leistete die Arbeitsgruppe SLG - Spuren-Lebendig-Gemacht, die den Reinerlös des Benefiz-Orgelkonzertes in der Sießener Barockkirche St. Magnus mit Organist Professor Daniel Maurer, Offenburg, spendete.
Bei der symbolischen Scheckübergabe durch Mary Gelder und Fritz Weiß von der Arbeitsgruppe SLG an der sanierten und neu aufgestellten Stele war auch der vermutlich letzte Zeitzeuge, der 83-jährige Arnold Gorski aus Ochsenhausen, der das Lager als Kind überlebt hatte und dessen Großmutter Anna Gorski zu den 169 Toten gehörte, dabei. Als 14 Monate alter Junge kam er mit seiner Familie im Dezember 1940 bei der Umsiedlung der Volksdeutschen aus der rumänischen Südbukowina als einer der ersten 1300 Bewohner des neuen Lagers im Kloster Sießen an. Bei seinen Recherchen über diese Zeit half ihm die Diplomarbeit „Das Umsiedlungslager
der Volksdeutschen Mittelstelle im Kloster Sießen, Kreis Saulgau 1940-1945“. Das Umsiedlungslager in den Gebäuden der Franziskanerinnen, die im November 1940 zur Unterbringung von Volksdeutschen beschlagnahmt wurden, war für 400 bis 500 Personen ausgelegt. Die Zahl der Lagerbewohner schwankte von 1940 bis Kriegsende zwischen 500 und 2000 Personen, sodass das Lager stets überbelegt war. Waren es zu Beginn Volksdeutsche, die bei der Aktion „Heim ins Reich“ als Umsiedler
im Lager waren, änderte dies sich ab 1943. Vichy-Franzosen, Elsässer und vor allem Absiedler aus Slowenien, Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, um den Volksdeutschen Platz zu machen, stellten den Hauptanteil. 1944 waren 853 Slowenen im Lager. Wie sehr die menschenverachtende NS-Politik war, zeigte beispielsweise die rassische Wertung der Umsiedler in vier Wertungsstufen von „rein nordisch“ bis „Personen, deren Erscheinungsbild untragbar ist“. Mit zu den letzteren
gehörten die Slowenen. Entsprechend unterschiedlich waren auch die Bedingungen für die einzelnen Volksgruppen. Sowohl Verpflegung als auch Bildung im Lager unterschieden sich deutlich. Was für alle gleich schwierig war, war die drangvolle Enge, wobei Slowenen auch hier benachteiligt wurden, denn sie mussten in den Massenquartieren auf Strohsäcken leben.
Die mangelhaften hygienischen Verhältnisse und eine massive Ungezieferplage, vor allem Wanzen und Läuse, taten ihr Übriges, ließen das Leben zur Qual werden. „Hätten uns die verbliebenen Schwestern nicht immer wieder heimlich mit Lebensmittel und Kleidung unterstützt, wäre das Leben noch unerträglicher gewesen“ so eine Zeitzeugin. Die Verschlechterung der Lagerbedingungen und deren Folgen lässt sich am enormen Anstieg der Sterblichkeit ab Mitte 1944 nachweisen. Hauptbetroffen waren Säuglinge und Kleinkinder. So waren zwei Drittel der in den Monaten Februar 1944 bis März 1945 gestorbenen Kinder unter zwei Jahren. Als Todesursachen
wurden „epidemische Krankheiten“ benannt. Von den Toten waren 98 jünger als 12 Jahre, 46 älter als 60 Jahre. Die Behandlung der Slowenen zeigt sich auch an der Mortalitätsstatistik, in der diese Volksgruppe die Liste anführt. Den 169 Toten ist die Gedenkstele seit über 60 Jahren gewidmet. Sie soll jetzigen Generationen Mahnung
sein. Arnold Gorski ist einer der Zeitzeugen, der seine Erlebnisse für das Buch „Aus dem Grau des Kriegszeit - Geschichten hinter der Geschichte“ niederschrieb.
Arbeitsgruppe SLG
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Maria M. Gelder
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